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Ich stelle fest, dass ich die Idee, dass jemand Selbstmord begeht (nur um des Selbstmordes willen) und dabei 150 Menschen einfach so mitnimmt, überhaupt nicht verarbeiten kann.
Also, ich bilde mir ja ein, ein relativ vielseitiges und auch empathiebegabtes Hirn zu haben, aber da komm ich nicht mit. Das kann ich einfach nicht verstehen.
Ich kann irgendwo nachvollziehen, dass Leute Selbstmord begehen. Nicht [mehr] im Sinne von "Würd ich auch tun", aber ich verstehe jedenfalls, wie es dazu kommt. Ich bin sogar bereit, Menschen im Allgemeinen ein generelles Recht auf Selbsttötung zuzugestehen, solange sie dabei bitteschön möglichst wenigen anderen Menschen wehtun.
Ich kann irgendwo nachvollziehen, warum Menschen morden. Nicht im Sinne von "Würd ich auch tun", aber ich kann zumindest begreifen, wie's passiert. (Außer, wenn das Motiv "Langeweile" wäre, das würde ich wieder nicht verstehen können.)
Ich kann irgendwo nachvollziehen, wenn jemand ein Selbstmordattentat begeht. Nicht im Sinne von "Würd ich auch tun", aber ich sehe jedenfalls eine Verbindung zwischen dem Unterfangen und dem Ergebnis, die irgendwo schlüssig ist, wenn man sich auf die geistige Welt einlässt, in der Selbstmordattentäter offenbar leben. Aber da läuft es ja andersherum: Man nimmt, um die ganzen anderen Leute zu töten, den eigenen Tod mit in Kauf. Nicht, wie es womöglich hier war: Man nimmt, um sich selbst zu töten, den Tod der anderen mit in Kauf.
Ich kann irgendwo nachvollziehen, dass jemand, der Selbstmord begeht, eben nicht mehr an andere Leute denkt. Nicht an die arme Person, die die Leiche findet; nicht an die eigenen Angehörigen; ganz sicher nicht an den traumatisierten Lokführer oder an die Familie im entgegenkommenden Fahrzeug, die womöglich mit getötet wird. Es gibt ja sozusagen eine einigermaßen saubere Art, Selbstmord zu begehen, und dann gibt es, ich drück's mal drastisch aus, Arschlochnummern. Wahrscheinlich macht es, wenn jemand in Arschlochnummerverfassung ist, dann keinen Unterschied mehr, ob man nun als Geisterfahrer drei weitere Fahrzeuge rammt - oder ob man 149 Menschen an Bord eines Flugzeuges mitnimmt. Wahrscheinlich sieht man dann nur sich selbst und die Tatsache, dass man sich selber auslöschen will. Vielleicht wäre der Co-Pilot, wenn er zu dem Zeitpunkt auf einer hohen Brücke gestanden hätte, "einfach nur" da hinunter gesprungen. Aber leider saß er im Cockpit einer vollbesetzten Passagiermaschine. Vielleicht ist es wirklich so -- so banal.
Aber ich kann mir nicht helfen, mein Kopf versucht die ganze Zeit, irgendein Szenario zu finden, in dem das Ganze letztlich doch nur ein Unfall war. Zum Beispiel, weil der Co-Pilot gern ein strahlender Held sein wollte und deswegen zuerst eine bedrohliche Situation herbeiführen wollte, um dann "im letzten Moment" den Flieger wieder in sichere Höhe zu bringen. Damit hätte er dann die Leute gerettet und könnte sich geil fühlen. Das wäre eine Motivation, die ich noch irgendwo kapieren könnte. Und dann war die Bergwand blöderweise näher als erwartet und der Flieger ließ sich einfach nicht schnell genug hoch genug ziehen. Scheiß-Physik. Auch eine Arschlochnummer, aber eben wenigstens ohne Tötungsabsicht.
Das würde eigentlich überhaupt nichts besser machen, vom Ergebnis her, aber es erlaubt mir, weiter an einen Unfall zu glauben, der eigentlich nicht so hätte enden sollen. Und daran, dass der Co-Pilot den Tod 149 weiterer Menschen wenigstens nicht wohlwollend in Kauf genommen hat.
Ich glaube auch, dass das der Grund ist, warum so viele Leute ihm gleich erst mal einen islamistischen Hintergrund unterstellen wollen. Weil das ein Szenario ist, das sie kennen und mit dem ihr Kopf - so schrecklich es auch ist - umzugehen gelernt hat. Terroristen tun so etwas. Aber Depressive mit Selbsttötungsabsicht, die hängen sich auf dem Dachboden auf oder springen vor eine U-Bahn. (Was, wie gesagt, auch schon die Arschlochvariante ist.) Die fliegen keine Flugzeuge absichtlich vor die Wand.
Oder vielleicht doch? Das muss man eben erst einmal verstehen lernen.
Und ich denke auch, dass das mit ein Grund ist, warum dieser Fall die Leute um uns rum mehr und länger beschäftigen wird als die Tausenden von Hungertoten und die Ebolaopfer und Boko Haram und die Ukraine-Krise. Weil es ein zunächst mal (nahezu) unbekanntes Szenario ist, das wir erst einmal begreifen lernen müssen. Hunger tötet und Viren töten und Terroristen töten und Kriege töten, das finden wir schrecklich, aber das haben wir schon verstanden. Aber Selbstmord - "nur" Selbstmord - als Motivation für Massenmord? (Hier offenbart sich übrigens gerade meine eigene Perversität: Ich frage mich, ob 150 Leute für das Label "Massenmord" schon genug sind. ÄH, JA, SCHON SO IRGENDWIE?)
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Gestern hab ich Jörg in Düsseldorf vom Flughafen abgeholt. Er ist nämlich am Dienstag dienstlich nach Südfrankreich geflogen.
Mittags, da war also schon bekannt, dass in Südfrankreich ein Flugzeug abgestürzt war.
Wir haben da natürlich unsere "lustigen" Sprüche drüber gemacht, von wegen "So sicher wirst du nie wieder fliegen - es fallen bekanntlich nie zwei am gleichen Tag runter". (Uns ist völlig klar, dass Statistik so nicht funktioniert, das muss also keiner in den Kommentaren aufschlüsseln, dankeschön.) Und er ist ja auch trotzdem geflogen (mit Germanwings übrigens). Hin und zurück. Ohne besondere Vorkommnisse.
Und natürlich weiß ich, dass die Autobahnfahrt zum Flughafen und zurück viel, viel, viel gefährlicher ist als der Flug an sich. Aber ich war trotzdem froh und erleichtert, als ich ins Flughafengebäude kam und auf dem Bildschirm sah: Flug 4U9413 aus Lyon: Gelandet.
Wobei ich es, gnadenlos formuliert, echt albern finde, dass jetzt so viele Leute "nie wieder fliegen" wollen. Inklusive Flugbegleitern. Zumal es ja kein technischer Defekt war und kein Versehen. Und zumal die gleichen Leute wahrscheinlich sorglos Zigaretten rauchen oder zumindest Auto fahren.
Aber Angst ist eben nicht rational, und das Problem bei der Flugangst ist ja auch nicht so sehr das Fliegen an sich, sondern der Gedanke, dass man als Passagier nichts tun kann. Im Auto bildet man sich doch ein, durch zeitiges Bremsen, geschicktes Lenken oder zur Not auch seitliches Eingreifen als Beifahrer noch irgendwie Einfluss auf die Situation nehmen zu können (was gelegentlich sogar stimmt) - und das kann man im Flieger halt nicht. Es ist also das Ausgeliefertsein, das einem Angst macht.
Und diese Angst wird jetzt natürlich erst einmal verstärkt.
Das, immerhin, kann ich verstehen.
no subject
Date: 2015-03-27 10:28 am (UTC)Ich fürchte, das mit der Brücke vs. Cockpit kommt wahrscheinlich hin. Das kann so banal sein.
Übel.
*schickt ganz viele Umärmelungen*
no subject
Date: 2015-03-27 10:42 am (UTC)no subject
Date: 2015-03-29 11:12 am (UTC)Also, ich bilde mir ja ein, ein relativ vielseitiges und auch empathiebegabtes Hirn zu haben, aber da komm ich nicht mit. Das kann ich einfach nicht verstehen.
Du sprichst mir aus der Seele, und es tut so gut das so ausgezeichnet in Worte gefaßt zu sehen.
Ich kann dabei das Thema "Selbstmord" an sich sogar relativ gut nachvollziehen; ich habe mehrere schwere depressive Phasen gehabt und war einmal selbst kurz vorm Selbstmord (oder besser glücklicherweise nicht erfolgreich), und kenne die Gefühle gut von der Sinn- und Wertlosigkeit des eigenen Lebens, und den unglaublichen Kraftakt den es bedeutet einfach nur am Leben zu bleiben. Ich kenne und kannte Leute mit ähnlichen Problemen, und ich kenne Leute die mit dem Selbstmord eines Vaters oder einer Tochter leben lernen mußten. Letzendlich hat mich selbst vor allem abgehalten daß ich es nicht fertiggebracht habe, das meinen Eltern und Schwestern bzw. später meinem Mann anzutun.
Ich kann ebenfalls nachvollziehen daß jemand so unendlich verzweifelt ist daß auch keine Gedanken mehr Raum haben an andere, die mitbetroffen sind - der Zugführer, der mit dem Trauma leben muß, andere Verkehrsteilnehmer, oder auch nur die Leute die einen dann finden. Das ist schlimm genug, aber noch irgendwo im für mich erfassbaren Rahmen. Doch selbst in meinen schlimmsten Zeiten, als ich konkret Möglichkeiten recherchiert habe, kam für mich absolut nicht in Frage andere mit reinzuziehen. Und so eine "Arschlochnummer" - sehr treffend bezeichnet - kann ich trotz allem, und auch mit meinem Hintergrund, ebenfalls nicht verarbeiten, nicht begreifen; es macht mich fertig.
Mir geht's wie Dir, mein Hirn sucht krampfhaft nach Alternativen, nach dem Fünkchen Hoffnung daß es doch etwas anderes war, irgendeine Summe von ganz dummen Zufällen.
Ich glaube auch, dass das der Grund ist, warum so viele Leute ihm gleich erst mal einen islamistischen Hintergrund unterstellen wollen. Weil das ein Szenario ist, das sie kennen und mit dem ihr Kopf - so schrecklich es auch ist - umzugehen gelernt hat. Terroristen tun so etwas. Aber Depressive mit Selbsttötungsabsicht, die hängen sich auf dem Dachboden auf oder springen vor eine U-Bahn. (Was, wie gesagt, auch schon die Arschlochvariante ist.) Die fliegen keine Flugzeuge absichtlich vor die Wand.
Oder vielleicht doch? Das muss man eben erst einmal verstehen lernen.
Auch sehr, sehr gut ausgedrückt.
Solche Galgenhumor-Witzeleien wie eure über Jörgs Flug kann ich übrigens bestens verstehen. Angst hat man ja doch, irgendwie muß man damit umgehen. Wir klopfen auch meistens makabre Sprüche in so einer Situation.
Ein winziges Fünkchen Hoffnung hätte ich gerne. Jenes, das aus diesem tragischen Unglück wenigstens etwas Positives entstehen möge, nämlich daß Menschen, die unter der Last des Verantwortung dieses Berufs fast zusammenbrechen, Hilfe finden können. Daß das Stigma von Depressionen, vor allem bei Männern, abnimmt, und mehr sich trauen sich auch helfen zu lassen.
Mein Schwager ist Pilot bei der Lufthansa, er fliegt innereuropäisch einen ähnlichen Airbus-Typen. Das Leben, das er durch diesen Beruf bedingt führt, ist nicht einfach, vor allem sozial gesehen. Es fällt mir nicht schwer wie jemand, der psychische Probleme hat, damit nicht zurechtkommt.
Aber wenn ich mir so angucke was abläuft, sehe ich mein Fünkchen schon wieder erlöschen.
no subject
Date: 2015-03-29 11:54 am (UTC)Letzendlich hat mich selbst vor allem abgehalten daß ich es nicht fertiggebracht habe, das meinen Eltern und Schwestern bzw. später meinem Mann anzutun.
Ist bei mir so ähnlich - meine Selbstmordgedanken haben immer mit "... aber wie würden die Leute im Judoverein das verkraften? Und meine Oma? Und meine Eltern?" geendet. Und damit war das Thema dann erst einmal wieder vom Tisch.
Aber da denkt man dann ja eben noch an andere Menschen. Man hält sich sogar noch für so wertvoll, dass man anderen Menschen fehlen würde; man glaubt nicht, dass die alle froh wären, wenn man weg wär. Das ist also (vermutlich) noch einmal etwas Anderes. Ich muss da akzeptieren, dass meine Erfahrung einfach nicht ausreicht, um das vollends zu erfassen.
Ein winziges Fünkchen Hoffnung hätte ich gerne. Jenes, das aus diesem tragischen Unglück wenigstens etwas Positives entstehen möge, nämlich daß Menschen, die unter der Last des Verantwortung dieses Berufs fast zusammenbrechen, Hilfe finden können. Daß das Stigma von Depressionen, vor allem bei Männern, abnimmt, und mehr sich trauen sich auch helfen zu lassen.
Ja, das wäre schön. Wenn endlich flächendeckend ankäme, dass A) Depression eine echte Krankheit ist, etwas, was professioneller Hilfe bedarf - nicht etwas, wo "man sich halt einfach mal zusammenreißen muss"; B) es kein Zeichen von Schwäche ist, zuzugeben, dass man depressiv ist und Hilfe braucht, sondern im Gegenteil viel Stärke erfordert; C) es extrem nachteilhaft ist, wenn Betroffene sich gezwungen sehen (um z.B. ihren Job zu behalten oder nicht stigmatisiert zu werden), ihre Krankheit geheim zu halten -- man also eine Gesellschaft und eine Arbeitswelt bräuchte, in der generell mit "Schwachstellen" anders umgegangen wird. In der man akzeptiert, dass Menschen ausfallen können (durch Depressionen oder eine Neigung zu Migräne oder Schwangerschaft oder was auch immer) und sich überlegt, wie die Firma trotzdem - mit ihnen! - funktioniert, statt sie abzuschieben und zum "Problem anderer Leute" (oder schlicht und ergreifend "ihrem eigenen Problem") zu machen.
Aber da bewegen wir uns wohl im Bereich der Utopie. >_>
Mein Schwager ist Pilot bei der Lufthansa, er fliegt innereuropäisch einen ähnlichen Airbus-Typen. Das Leben, das er durch diesen Beruf bedingt führt, ist nicht einfach, vor allem sozial gesehen. Es fällt mir nicht schwer wie jemand, der psychische Probleme hat, damit nicht zurechtkommt.
Generell sieht man bei Piloten glaube ich zu viel den "Glamour-Faktor" - geilomat, dauernd fliegen und an tollen Orten sein und ganz viel Kohle scheffeln! - und viel zu wenig die Nachteile - die lange und teure Ausbildung, die erratischen Dienstpläne, die Last der Verantwortung, die Schwierigkeit, irgendeine Art von Beziehung zu führen oder auch die gesundheitlichen Probleme. Deswegen wird streikenden Piloten ja auch unangemessene Gier unterstellt, wenn sie für die kurze Zeit, in der sie arbeiten können (und gleichzeitig die Ausbildung abbezahlen und die Rente ansparen...), mehr Geld fordern...
Ich hab schon an anderer Stelle gesagt, dass ich lieber mit jemandem fliegen würde, der weiß, dass er psychologische Probleme hat, damit offen umgehen kann und sich deshalb behandeln lässt, als mit jemandem, der womöglich die gleichen Probleme hat, das aber verdrängt oder gar aktiv verheimlicht. Aber so scheinen das nicht viele zu sehen. :/
no subject
Date: 2015-04-11 11:29 am (UTC)"allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden"
Für mich trifft eher das zu. Ich kann diesen Prozeß des Niederschreibens sehr gut verstehen.
Aber da denkt man dann ja eben noch an andere Menschen. Man hält sich sogar noch für so wertvoll, dass man anderen Menschen fehlen würde; man glaubt nicht, dass die alle froh wären, wenn man weg wär. Das ist also (vermutlich) noch einmal etwas Anderes. Ich muss da akzeptieren, dass meine Erfahrung einfach nicht ausreicht, um das vollends zu erfassen.
Hm, das stimmt, das habe ich so bisher nicht gesehen oder erfaßt, und muß das ebenso akzeptieren.
Bei meinem Schwager war der Glamour-Faktor nicht besonders groß, glaube ich; zumindest die Realität kannte er als Angehöriger gut; sein Vater war ebenfalls Pilot, dessen zweite Frau Stewardeß. Grundsätzlich kann ich Dir da jedoch nur Recht geben. Und ja, ich würde auch lieber mit dem Piloten fliegen, der mit seinen Problemen offen umgeht.